Philosophie und Krimi/Thriller - Passt das zusammen?

 

Um es gleich vorweg zu nehmen: Sie passen perfekt zusammen.

 

Die Philosophie ist einerseits eine akademische Disziplin mit ihren eigenen Spielregeln und Qualitätsstandards, die die Objektivität ihrer Antworten sichern sollen. Andererseits ist sie das fortwährende Reflektieren von Fragen, die dem menschlichen Alltag entstammen, und die Suche nach Antworten, die auch eine sehr individuelle Seite haben können.

 

Die Philosophie wird oft herangezogen, wenn es um normative Fragen und Werte geht: Darum, was wir tun sollen, an welche Regeln, Werte und Gesetze sich unser Handeln als Individuen und als Gesellschaft orientieren soll.

 

 

Im klassischen Krimi zählt die Aufklärung eines Verbrechens. Dazu werden Theorien gebildet, Mutmaßungen aufgestellt, die Tat skizziert, nach Gründen gesucht und der Täter meistens überführt.

 

Der Thriller beschäftigt sich mit der Perspektive des Verbrechers, der es schafft, den Leser auf eine seltsame skrupellose Art moralische Vorstellungen, die er normalerweise befürwortet, hinter sich zu lassen, und sich mit dem Verbrecher identifiziert.

 

 

Im Mittelpunkt von Philosophie und Krimi/Thriller stehen demnach, neben den erkenntnistheoretischen Ursachen und deren Wahrnehmung, vor allem Probleme unserer Gesellschaft und damit einhergehend Fragen der Rechtsphilosophie und somit das Erforschen nach Schuld, Recht und Legitimität.

 

Sie befassen sich mit dem kulturellen Miteinander einer Gesellschaft, ihren Strukturen sowie der Ausbalancierung von Gut und Böse und der Suche nach der Wahrheit, dem Status des Einzelnen und seines Umkreises in einer komplexen Gesellschaft.

 

 

Recht und Gerechtigkeit sind entscheidende Regulierungsinstrumentarien von Gesellschaften.

 

 

Im Krimi/Thriller werden diese oftmals angezweifelt und dokumentieren so eine spezielle Umgangsweise mit diesem Thema. Das wiederum deutet auf Reibungen und Widerstände hin, die in der Realität nicht zur Disposition stehen. Dass Selbstjustiz, Vergeltung oder Rache als legitime Vorgehensweise eingesetzt werden, ist dort undenkbar.

 

 

Trotzdem sind Philosophie und Krimi/Thriller fest miteinander verwoben. Beginnend mit den klassischen philosophischen Debatten über unsere Faszination mit fiktiven Bösewichten bis zu drängenden aktuellen Fragen nach dem Umgang mit Terror und Extremismus.

 

Auch die Frage nach der Wahrnehmung und Erkennbarkeit von Realität, die in der Verbrechensermittlung ihre Basis sieht, spielt eine große Rolle.

 

Was fühlt ein Mörder? Wie töten Menschen und warum töten sie? Kann ein Mord richtig sein?

 

 

Das sind Themen, mit denen sich Philosophen und Literaten seit Jahrhunderten auseinandersetzen.

 

 

In der Philosophie stehen sich dabei zwei Positionen gegenüber:

 

 

Die handlungsorientierte Ethik:

Die Handlung selbst ist entweder richtig oder falsch. Es ist dabei unerheblich, welche Konsequenzen unser Handeln wahrscheinlich nach sich zieht. Wenn wir also einen Mord als Verbrechen ansehen, müssen wir auch den Mord an Adolf Hitler verurteilen. Gleiches gälte etwa nach Immanuel Kants Pflichtethik auch für eine Lüge.

 

 

Die an Konsequenzen orientierte Ethik:

Ein moralisches Urteil, das die Konsequenzen einer Handlung nicht beachtet, ist aus dieser Sicht nicht ernst zu nehmen. Wenn wir davon ausgehen können, dass der Tod eines einzelnen Menschen das Leben von ungleich mehr Menschen retten kann, wenn darüber hinaus dieser einzelne Mensch auch noch ein Verbrecher ist– dann ist ein Mord vielleicht in Erwägung zu ziehen.

 


 

Natürlich sind beide (hier sehr verkürzt dargestellte) Positionen aus unterschiedlichen Gründen problematisch. Dazu ein karikierendes Beispiel:

 

 

Angenommen, wir würden uns vor einem Mörder im Haus von Immanuel Kant verstecken und der Mörder würde kurze Zeit später bewaffnet an dessen Haustüre klingeln und sich nach uns erkundigen, dann dürfte Kant den Verbrecher nicht mit reinem Gewissen anlügen.

 

 

Aber, was wäre die Literaturgeschichte ohne Mord und Totschlag, ohne den heimtückischen Mord aus Liebe, Verzweiflung oder Rache.

Was wären Sherlock Holmes, Miss Marple oder Kommissar Maigret ohne den Mörder? Film und Fernsehen präsentieren täglich dutzendfach inszenierte Verbrechen.

 

Der Gedanke des perfekten Verbrechens, das nicht aufgeklärt wird, einer Vollkommenheit eigener Art, ist demnach im Krimi/Thriller allgegenwärtig und steht in einem engen Zusammenhang mit der Logik, eine auf Mathematik und Philosophie beruhende Wissenschaft von den Gesetzen und Prinzipien des Denkens.

 


 

Logische Probleme sind im Krimi/Thriller äußerst beliebt, wenn sie sich in Gestalt einer mysteriösen Leiche präsentieren. Dann treten die Ermittler auf, sei es als Detektiv, Polizei oder in sonstiger Erscheinungsform, nehmen den Tatort und das Drumherum in Augenschein, befragen die Verdächtigen unter Ausschluss von Gefühlen und gelangen zu den richtigen Schlüssen. So hat der Mörder nur relativ wenige Chancen, davon zu kommen, dank der kriminalistischen Logik.

 

Die philosophische Logik funktioniert vergleichbar. Auch sie negiert Gefühle und Vorurteile, jedoch auf einer anderen Ebene. Während im Krimi/Thriller die Aussage von der aussagenden Person abstrahiert wird, blendet die philosophische Logik den Inhalt der Aussage aus und fokussiert sich auf die gedankliche Struktur. Die Logik gibt demnach die Regeln an, nach denen aus anerkannten Wahrheiten neue Erkenntnisse geschlossen werden können.

 

Übertragen auf den Krimi/Thriller bedeutet das wiederum: Wenn es ein Mordopfer gibt, dann gibt es auch einen Mörder.

Allgemein gesprochen: Keine Wirkung ohne Ursache.

Oder, in logischen Begriffen: Keine Folge ohne Grund.

 

Einen spannenden Krimi oder Thriller zu schreiben heißt, neben den glaubwürdigen Figuren, der dynamischen und konfliktreichen Handlung auch überzeugende kriminelle Motive mit einzubauen, die eine innere Logik der Verbrechensaufdeckung beinhalten muss.

 

Vater-Sohn-Beziehungen, Irrungen und Wirrungen der Liebe, Fragen der gesellschaftlichen Moral - alles wird zum Krimi und im Krimi verarbeitet.

 

Die meisten Krimis/Thriller sind deshalb in der heutigen Zeit ein Sinnbild für die Richtung unseres Zeitalters. Sie manifestieren ein zu unserem Zeitalter passendes Bild und sind die künstliche Reproduktion des Produktions-Bewusstseins.

 

Damit bewahrheitet sich der Satz der Philosophin Bettina Stangneth:

 

"Denken ist die gefährlichste Waffe von allen."